06.03.2023

Gender Lens Investing: Geldanlage mit der Genderbrille

Was ist Gender Lens Investing?

Chancen und Herausforderungen

Die GLS Investments möchte die sozial-ökologische Transformation der Wirtschaft mitgestalten. In dem ganzheitlichen und integrierten Auswahlprozess ihrer Investitionen spielen soziale Aspekte eine wichtige Rolle. Das zeigt sich auch beim Thema Diversität und Gendergerechtigkeit, das im Asset Management zunehmend an Bedeutung gewinnt.

Wie die GLS Investments sich aktuell mit dem Thema beschäftigt und wie Genderkriterien bereits in die Bewertung von Titeln des GLS Anlageuniversums einfließen, darüber sprechen Berenice Brügel, Nachhaltigkeitsanalystin, und Franziska Peter, Spezialistin Investmentfonds der GLS Investments.

Gendergerechtigkeit scheint heutzutage in aller Munde zu sein — sei es gendergerechte Sprache oder der Ruf nach mehr Frauen in Aufsichtsräten und Vorständen. Doch muss dieses Thema heute immer noch diskutiert werden?

Franziska Peter: Auf jeden Fall. Im internationalen Vergleich herrschen noch große Unterschiede zwischen den Geschlechtern.1 In Deutschland und den meisten entwickelten Ländern treffen größtenteils unverändert Männer die wichtigen Entscheidungen. Dabei zeigen viele Untersuchungen, dass gemischte Teams erfolgreicher sind.2 Es liegt somit im ureigensten Interesse von Unternehmen, Entscheidungsprozesse und -strukturen gendergerecht weiterzuentwickeln. Investoren können eine unterstützende Funktion einnehmen.

Im Gegensatz zu Deutschland sind Länder wie Großbritannien beispielsweise offensiver in der Gesetzgebung im Bereich Gender Pay Gap.

Dieses Thema ist mittlerweile auch am Kapitalmarkt angekommen. Immer häufiger ist die Rede vom sogenannten Gender Lens Investing. Was bedeutet das und welchen Beitrag kann diese Form des Investierens zur Geschlechtergerechtigkeit leisten?

Berenice Brügel: Um besser zu verstehen, was Gender Lens Investing leisten kann, können wir uns die Definition anschauen. Bei „Gender“ geht es um Geschlechtergerechtigkeit und „Lens“ bedeutet nichts anderes, als Investitionsentscheidungen durch eine bestimmte Linse, engl. lens, zu betrachten. Gender Lens Investing bedeutet also, dass Investoren in ihrer Anlagestrategie zusätzlich eine „Genderbrille“ aufsetzen und zum Beispiel die Verteilung von Gehältern, den Anteil von Frauen in Führungspositionen oder Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf in ihren Anlagekriterien berücksichtigen. Das spannende für Investor*innen ist, dass Gender Lens Investing alle Unternehmen gleichermaßen betrifft. Alle Unternehmen können einen Beitrag zu dieser gesellschaftlichen Herausforderung leisten. Investor*innen können Unternehmen proaktiv auf Ungleichheiten hinweisen, Transparenz einfordern und spezifisch und kritisch nachfragen. So beispielsweise zur Zielgröße von Frauen im Vorstand. Gender Lens Investing hört aber nicht bei den Anlagekriterien auf, sondern geht noch einen Schritt weiter. Die Gender Lens Perspektive einzunehmen bedeutet auch, die eigenen Strukturen und Prozesse zu hinterfragen. Sind Frauen in den internen Investitionsentscheidungen oder Gremien beteiligt?

Franziska Peter: Unternehmen haben hier einen nicht zu unterschätzenden Einfluss. An Problemen, wie dem Gender Pay Gap und dem daraus entstehenden Gender Pension Gap können Unternehmen direkt durch Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie ansetzen.

Inwieweit wenden Sie eine Genderperspektive bei den GLS Nachhaltigkeitsfonds bereits an?

Berenice Brügel:Wenn wir Unternehmen auf sozial-ökologische Kriterien überprüfen, wenden wir einen ganzheitlichen Ansatz an. Eine Gender Lens Perspektive ist dabei immer vertreten — wenngleich in unseren verschiedenen Angeboten unterschiedlich stark ausgeprägt. Einen Fokus auf Geschlechtergerechtigkeit legen wir vor allem bei der Aufstellung der Kriterien unseres GLS Alternative Investments — Mikrofinanzfonds. Die finanzielle Teilhabe explizit von Frauen bewerten wir positiv bei der Analyse von Mikrofinanzinstituten. Auch bei unseren Kapitalmarktfonds berücksichtigen wir die Genderperspektive im Bereich der sozialen Kriterien. Momentan stehen wir vor der Herausforderung, dass Unternehmen häufig noch wenige Informationen zu relevanten Kriterien erheben bzw. veröffentlichen. Hier wünschen wir uns eine höhere Transparenz von Unternehmen insbesondere zu aussagekräftigen Kriterien. Oftmals gehen die Daten nicht über die Veröffentlichung des Anteils von Frauen in den Führungsetagen hinaus.

Franziska Peter: Allerdings glauben wir, dass sich die Datenlage verbessern wird. Die Verpflichtung zur Offenlegung verschiedener diversitätsbezogener Daten gehört in vielen Ländern schon zur Regel. Die politische Rahmengesetzgebung führt zu einer besseren Datenlage. Beispielsweise verlangt die Europäische Union mit der neu eingeführten Offenlegungsverordnung, dass Finanzmarktteilnehmer künftig auch den Gender Pay Gap ihrer nachhaltigen Investitionen offenlegen sollen.

Neben dem Dauerbrenner „Nachhaltigkeit“ scheint „Gender und Diversity“ ein neuer Trend im Asset Management zu sein. Wie sehen Sie die aktuellen Entwicklungen? Werden wir uns langfristig mit dem Thema beschäftigen?

Berenice Brügel: Aktuell spielt Gender Lens Investing vor allem im Bereich Direktinvestments und Private Equity wie SME Finanzierungen oder Mikrofinanz eine Rolle. Am Markt beobachten wir, dass auch im Aktienfondsbereich immer häufiger ein Gender Lens Ansatz gewählt wird. Das verstärkte Interesse von institutionellen Investor*innen sowie die zunehmenden Reportinganforderungen erhöhen die Sichtbarkeit des Themas.

Franziska Peter: Durch die zunehmende Berichterstattung der Unternehmen werden Akteure im Asset Management vermehrt gesellschaftlich relevante Themen in den Fokus nehmen. Gender und Diversity betrifft uns alle; wir werden uns langfristig mit dem Thema beschäftigen.

Wie finden Sie die Daten zu den Unternehmen? Und wie gehen Sie vor, wenn Sie nicht finden, was Sie brauchen?

Berenice Brügel: Wir greifen auf öffentlich verfügbare Informationen sowie externe Nachhaltigkeitsdatenbanken zurück. Wenn wir keine Daten finden bzw. sie nicht öffentlich sind, gehen wir auch direkt auf das Unternehmen zu. Damit haben wir bereits gute Erfahrungen gemacht. Direkte Anfragen helfen außerdem, genderspezifische Themen im internen Nachhaltigkeitsmanagement von Unternehmen zu beschleunigen. Engagement sehen wir hier als einen großen Hebel.

 


1 AllBright Bericht, September 2021: Aufbruch oder Alibi? Viele Börsenvorstände erstmals mit einer Frau
2 Zum Beispiel McKinsey & Company, 2019: Diversity wins. How Inclusion matters