03.11.2022

Nachhaltigkeitsfonds – Ausschluss reicht nicht

Es braucht ein ganzheitliches Nachhaltigkeitsverständnis!

In den vergangenen Wochen hat die Diskussion wieder Fahrt aufgenommen, inwieweit Anbieter von Nachhaltigkeitsfonds durch eine großzügige Definition von Ausschlusskriterien in kontroverse Unternehmen investieren. Stefan Fritz, Spezialist Investmentfonds der GLS Investments, zeigt in seinem Kommentar, wie wir Ausschlusskriterien anwenden und warum eine vertiefte Analyse der Unternehmen häufig trotzdem notwendig wird. 

Reichweitenstarke Fernsehsender wie das ZDF, aber auch weitere Medien vermitteln den Eindruck, als wäre der Finanzbranche beim Thema Nachhaltigkeit insgesamt nicht zu trauen. Es würden, so der Tenor dieser Berichte, viele fragwürdige Investitionen getätigt, welche mit den Werte- und Investmentvorstellungen von Anleger*innen wenig gemein hätten.

Wir finden es richtig und wichtig, dass Medien wie auch Nichtregierungsorganisationen kritisch den Markt begleiten und mit verschiedenen Plattformen wie z.B. www.faire-fonds.info Aufklärung und Transparenz leisten. Es gibt Geschäftspraktiken und -aktivitäten, die wir als GLS Bank unvereinbar mit unserem Verständnis von Nachhaltigkeit erachten, allen voran die Missachtung von Menschen- und Arbeitsrechten sowie militärische Rüstungsgüter. Hier lassen sich Investitionen aus Nachhaltigkeitssicht nicht verargumentieren – ein Ausschluss ist für uns unvermeidlich.

Allerdings greift es aus unserer Sicht zu kurz, die Nachhaltigkeitsqualität von Investmentfonds vorrangig an der Anzahl möglichst umfangreicher Ausschlusskriterien zu bemessen. Bei vielen Geschäftsaktivitäten ist die Sachlage nicht eindeutig, sondern sehr komplex. Wir halten eine vertiefte Analyse für notwendig. Unsere Nachhaltigkeitsspezialist*innen und unser unabhängiger Anlageausschuss betrachten potenzielle Unternehmen für unsere GLS Fonds ganzheitlich und wiegen dabei verschiedene Argumente miteinander ab. Anschließend treffen sie eine Einzelfallentscheidung. Dieses Vorgehen wollen wir an Unternehmen der Energiebranche und einem konkreten Investitionsbeispiel näher veranschaulichen.

Energiebranche im Übergang – wie positioniert sich ein Energieunternehmen?

Wenn wir auf die Energiebranche schauen, sehen wir eine Branche in Transformation. Der Großteil der Unternehmen fragt sich nicht mehr, ob Erneuerbare Energien die Zukunft sind. Gesetzgeber, Investoren und Öffentlichkeit haben klare Erwartungen kommuniziert. Aus Risikosicht ist ein Beharren auf fossiler Energie langfristig schwerlich möglich. Daher befassen sich die meisten Energiekonzerne intensiv mit der Frage, wie sie in den kommenden Jahren ihr zum Teil noch „fossiles“ Geschäftsmodell auf kohlenstoffarme Aktivitäten umstellen können. Aktuell tätigen sie dafür massive Investitionen. Sie sammeln beispielsweise über Green Bonds Kapital für kohlenstoffarme Neuprojekte ein, formulieren Ausstiegsstrategien oder setzen sich verschiedene, zum Teil wissenschaftsgestützte Klima-Commitments. Die Unternehmen haben dabei natürlich unterschiedliche Ambitionsniveaus, wie u.a. die Transition Pathway Initiative aufzeigt. Wir schauen uns daher an, wie sich ein Unternehmen insgesamt positioniert. Will es Vorreiter sein oder ist es eher Nachzügler? Bewusst investieren wir in die Unternehmen, die glaubwürdige und nachweisbare Anstrengungen unternommen haben.

Analyse der gesamten Wertschöpfungskette

Unternehmen in der „fossilen Energiebranche“ verdienen auf unterschiedliche Art und Weise Geld. Zunächst müssen die Konzerne Kohle, Erdöl und Erdgas abbauen. Dann verfeuern Konzerne diese fossilen Energieträger in Kraftwerken, um Energie zu erzeugen. Diese Energie fließt dann über Stromnetze zu den Kund*innen.


Klare Meinung: Keine Investition in Unternehmen, die Kohle, Öl, Gas abbauen


Der Abbau fossiler Energieträger ist aus unserer Sicht nicht mit unserem Nachhaltigkeitsverständnis vereinbar. Neben den ökologischen Schäden bergen diese Aktivitäten häufig hohe Menschenrechtsrisiken. Deshalb schließen wir Unternehmen aus, die im Abbau von Ölsand und Ölschiefer aktiv sind, die Erdöl gewinnen und die Fracking betreiben. Ebenso schließen wir den Abbau von Kohle und insbesondere Bergbau durch Gipfelabsprengungen aus. In allen Fällen gilt der Ausschluss für die Förderung und für die Verarbeitung der Rohstoffe, bspw. durch Raffinerien. Ein guter Orientierungspunkt ist z.B. die Coalexit-List von Urgewald und Facing Finance.


Einzelfallentscheidung: Geringe fossile Umsätze vs. hohe nachhaltige Umsätze


Differenzierter gehen wir bei Unternehmen vor, die noch einen Bruchteil ihrer Umsätze mit der Energieproduktion bzw. dem Transport fossiler Energieträger erwirtschaften, aber bereits signifikante Umsätze mit aus unserer Sicht nachhaltigen Aktivitäten erzielen. Mit einem strikten Ausschluss „fossiler“ Aktivitäten wäre ein Großteil der Energiebranche heutzutage nicht investitionswürdig. So verständlich dieser Ausschluss auf dem ersten Blick erscheint, so weit entfernt ist er häufig von der Investmentrealität. Wir halten es für vertretbar, Unternehmen finanziell zu begleiten, die sich ernsthaft transformieren und dies in der Vergangenheit bereits getan haben.

Abwägung schlägt Ausschluss

Natürlich gehen wir dabei nicht beliebig vor. Wir haben in unseren Anlage- und Finanzierungsgrundsätzen klare Kriterien definiert, was wir als eine positive nachhaltige bzw. zukunftsweisende Aktivität definieren und was nicht. Auf Grundlage dieser Kriterien entscheiden die Expert*innen unseres Anlageausschusses. Dort wirken Vertreter*innen von Nichtregierungsorganisationen, Ingenieure und weitere Nachhaltigkeitsexpert*innen. Sie nehmen verschiedene Perspektiven ein, um eine möglichst abgewogene Entscheidung zu treffen. Dies wollen wir an dem Beispiel Ørsted S/A veranschaulichen:

Ørsted S/A ist es gelungen, von einem fossilen Energiekonzern zum Weltmarktführer in Offshore-Windkraft zu werden. 90 Prozent der Energieerzeugung stammt mittlerweile aus Erneuerbaren Energien – das Unternehmen hat die Transformation damit nahezu abgeschlossen. Wir bewerten die ambitionierten und umfänglichen Klimaschutzziele ebenso positiv wie das detaillierte und umfangreiche Berichtswesen. Ebenfalls setzt das Unternehmen Impulse, indem es plant, die Netto-Auswirkung seiner Geschäftsaktivitäten auf die Biodiversität zu analysieren.

Demgegenüber betreibt Ørsted noch bis Anfang 2023 eine Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlage mit Kohle und erzielt Umsätze im Handel mit Erdgas. Auch wenn wir diese Aspekte kritisch sehen, überwiegen insgesamt aus unserer Sicht die positiven Aspekte. Daher haben wir uns für eine Aufnahme in das Anlageuniversum entschieden. Dies ist natürlich nur unsere sozial-ökologische Einschätzung, stellt aber weder eine Anlageberatung bzw. eine Kaufempfehlung von Wertpapieren des Unternehmens dar.

Fazit

Ein strikter Ausschluss möglichst vieler Geschäftsaktivtäten erscheint auf den ersten Blick sinnvoll, kann aber mit der aktuellen Investmentrealität kollidieren und ist auch aus ethischer Perspektive nicht immer das erste Gebot. Selbstverständlich sollte aus Nachhaltigkeitssicht nicht in Unternehmen investiert werden, die Menschen- und Arbeitsrechte verletzen oder militärische Rüstungsgüter herstellen. Hierzu haben wir als GLS Gruppe eine klare Haltung. Doch die meisten Unternehmen am Kapitalmarkt sind noch nicht im vollen Maße nachhaltig. Die Energiebranche ist ein sehr gutes Beispiel. Es gibt viele Graubereiche, für deren Beurteilung wir und unser Anlageausschuss aus unterschiedliche Perspektiven betrachten. Wir sind davon überzeugt, mit unserem Ansatz ausgewogene sozial-ökologische Entscheidungen im Sinne unserer Anleger*innen zu treffen.

 

Lesen Sie hier mehr zu unserem Nachhaltigkeitsverständnis